Letzter Wunsch : Roman

Vertlib, Vladimir, 2003
Schulbibliothek BSZ Landwied
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Medienart Buch
ISBN 978-3-216-30678-4
Verfasser Vertlib, Vladimir Wikipedia
Systematik DE - Deutsch-Erzählende Dichtung
Schlagworte Exilliteratur
Verlag Deuticke
Ort Wien [u.a.]
Jahr 2003
Umfang 389 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Vladimir Vertlib
Annotation Kann Tradition bloß Borniertheit sein? / Vladimir Vertlibs Roman "Letzter Wunsch" Während der nationalsozialistischen Herrschaft hat es für viele die unliebsame und oft folgenschwere Überraschung gegeben, daß im Zuge der Erstellung des sogenannten Ariernachweises plötzlich ein jüdischer Großelternteil zutage getreten ist. In Vladimir Vertlibs Roman mehr als sechzig Jahre später ist es genau umgekehrt. Da will jemand seinen Vater auf dem jüdischen Friedhof einer deutschen Kleinstadt beerdigen lassen und wird plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, daß es da eine christliche Großmutter gegeben hat. Und da nach jüdischem Verständnis nur Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, ist der verstorbene Herr Salzinger auf einmal mit dem Makel behaftet, nicht dazuzugehören. Zwar ist Herrn Salzingers Mutter rechtzeitig zum Judentum übergetreten und hat ihr Leben als Jüdin in Israel beschlossen, doch wie sich im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde von Gigricht nun einmal nachweisen läßt, hat der Rabbiner, der damals die Übertrittsbescheinigung ausgestellt hatte, dem Reformjudentum angehört, und das heißt, im eigentlichen, im orthodoxen Sinne war der Übertritt ungültig. Dieses scheinbar kleine Detail in der Vorgeschichte hat eine fatale Wirkung, es veranlaßt alles, was in diesem Roman geschieht, ja, es ist Ursache, Thema und Konflikt dieses selbst. Nun ist jeder Anlaß ein legitimer, und je früher man mit ihm konfrontiert wird, umso eher darf der Leser fragen, wohin ihn der Autor führen will. Denn Vertlib erzählt uns hier nicht nur eine individuelle Geschichte, die einer prekären Vater-Sohn-Beziehung, die wenigstens im nachhinein ihre Erfüllung finden soll. Es wird nicht nur ein innerjüdischer Konflikt problematisiert zwischen orthodoxen und Reformjuden. Jüdische Geschichte über drei Generationen, welche Vorkriegs-, Nazi- und Nachkriegsdeutschland ebenso umfaßt wie die Emigrationszeit in Palästina, wird exemplarisch abgehandelt, mit der deutschen Geschichte kurzgeschlossen und als chronikaler Subtext mitgeliefert. Vor allem geht es um Identitäten, im mehrfachen Sinn, und wenn das Anliegen und Problematik des Romans sind, dann ist er ein zweifellos wichtiges, ein gelungenes und ein verdienstvolles Projekt, auch wenn Vertlib hier etwas, was die gesamte Gesellschaft angehen sollte, vorweg zu einem Randthema fokussiert, noch dazu auf die Gefahr hin, die Einschätzung von etwas "Exotischem" zu evozieren, dem man heute erst recht distanziert und fremd gegenübersteht, als dürfte man sich eine Meinung zu einem genuin jüdischen Problem nicht weiter erlauben. Ob es der Autor auf eine solche verbetene Einmischung von außen angelegt hat, um mit dem Leser in einen kritischen Diskurs zu treten, weiß ich nicht, ich registriere nur: die nichtjüdischen Figuren in diesem Roman haben ein ziemliches Problem damit, sie halten sich zurück, reagieren, wenn überhaupt, überwiegend verstört und allemal befangen. Wie muß es dann erst den (fast ausschließlich nichtjüdischen) Lesern ergehen? Aber kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Da ist Herr Salzinger, der als Kind erlebt, wie sein Vater gedemütigt, betrogen und von der Gestapo aus der Wohnung geholt wird, der mit seiner Mutter schließlich nach Palästina flüchten kann, dort mitansehen muß, mit wieviel Gewalt und Blut der Staat Israel errichtet wird, der schließlich nach Deutschland zurückkehrt, über eine bescheidene Existenz nie hinauskommt und mit der Zeit zum Misanthropen, zum Zyniker wird, der sich stets "in Opposition zur Welt gesehen" hat. Kurz vor seinem Tod äußert er seinen letzten Wunsch: auf dem jüdischen Friedhof in Gigricht neben seiner Frau beerdigt zu werden. Mit Religion hat das zwar nichts zu tun, vielleicht auch nicht einmal etwas mit Tradition, aber Gabriel Salzinger, der einzige Sohn, ist bereit, diesen Wunsch zu respektieren. Das Kaddisch ist schon gesprochen, die Erde schon auf den Sarg geworfen, als die Totengräber auf Anordnung des Kantors den Sarg wieder nach oben ziehen. "Es tut mir Leid, Herr Salzinger, aber es gibt ein Problem", wird dem außer sich geratenen Sohn mitgeteilt. "Ihre Großmutter ist für uns offiziell immer noch Nichtjüdin, und somit ist auch ihr Vater kein Jude. Wir können leider keinen Juden auf einem jüdischen Friedhof eine letzte Ruhestätte zur Verfügung stellen. So sind die Regeln." Und später wird Gabriel noch hören, daß es "nichts Wichtigeres auf Erden als das Gesetz" gebe, das Gesetz wäre alles. Nun mag dem Leser in den Sinn kommen, ob die jüdischen orthodoxen Gesetze, solcherart angewandt, nicht ein Pendant zu den Nürnberger Rassegesetzen sind, und man beobachtet neugierig, wie Gabriel, der betroffene Sohn, damit umgeht. Er sucht Rat bei seinen nichtjüdischen Freunden, er erlebt die kleine private Welt des Rabbiners, der ihm etwas zu erklären versucht, wofür Gabriel kein Verständnis hat, er geht schließlich, und das schafft erst recht Mißverständnisse, mit der heiklen Angelegenheit an die Öffentlichkeit und er läßt sich am Ende auf einen faulen Kompromiß ein, den es noch zu korrigieren gilt. Wie Vertlib die Reaktionen des Betroffenen, aller Betroffenen zeichnet, wie er die Kleinbürgerlichkeit der orthodoxen Rabbinersfamilie wiedergibt und das falsch verstandene Interesse einer Öffentlichkeit karikiert, die das alles gar nichts angeht, ist großartige Literatur. Auch das Portrait, das er von Gabriel Salzinger, dem einzigen Sohn, entwirft, seine Orientierungslosigkeit, die die Orientierungslosigkeit einer ganzen Generation ist, zeugt nicht nur von großem literarischem Können, sondern auch von einer reifen Erfahrung, von einem präzisen Studium des Milieus. Hier stimmt einfach alles, ob das die kurze blutige Episode im israelischen Kibbuz ist oder das soziale Umfeld, in dem Gabriels Vater in einer erneut antisemitischen Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland voller Distanzen und loser Bindungen lebt. Es ist erstaunlich, wie ein Autor, der Jahrgang 1966 ist, - unabhängig von der eigenen jüdischen Herkunft - derart authentisch von diesen Dingen zu erzählen versteht. Authentisch ist Vertlib auch im Tonfall, der stets sachlich und lakonisch bleibt. "Manchmal berichtete Vater von Ereignissen, die andere verschwiegen hätten. [Kann Tradition bloß Borniertheit sein? / Vladimir Vertlibs Roman "Letzter Wunsch" Während der nationalsozialistischen Herrschaft hat es für viele die unliebsame und oft folgenschwere Überraschung gegeben, daß im Zuge der Erstellung des sogenannten Ariernachweises plötzlich ein jüdischer Großelternteil zutage getreten ist. In Vladimir Vertlibs Roman mehr als sechzig Jahre später ist es genau umgekehrt. Da will jemand seinen Vater auf dem jüdischen Friedhof einer deutschen Kleinstadt beerdigen lassen und wird plötzlich mit der Tatsache konfrontiert, daß es da eine christliche Großmutter gegeben hat. Und da nach jüdischem Verständnis nur Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, ist der verstorbene Herr Salzinger auf einmal mit dem Makel behaftet, nicht dazuzugehören. Zwar ist Herrn Salzingers Mutter rechtzeitig zum Judentum übergetreten und hat ihr Leben als Jüdin in Israel beschlossen, doch wie sich im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde von Gigricht nun einmal nachweisen läßt, hat der Rabbiner, der damals die Übertrittsbescheinigung ausgestellt hatte, dem Reformjudentum angehört, und das heißt, im eigentlichen, im orthodoxen Sinne war der Übertritt ungültig. Dieses scheinbar kleine Detail in der Vorgeschichte hat eine fatale Wirkung, es veranlaßt alles, was in diesem Roman geschieht, ja, es ist Ursache, Thema und Konflikt dieses selbst. Nun ist jeder 190a Anlaß ein legitimer, und je früher man mit ihm konfrontiert wird, umso eher darf der Leser fragen, wohin ihn der Autor führen will. Denn Vertlib erzählt uns hier nicht nur eine individuelle Geschichte, die einer prekären Vater-Sohn-Beziehung, die wenigstens im nachhinein ihre Erfüllung finden soll. Es wird nicht nur ein innerjüdischer Konflikt problematisiert zwischen orthodoxen und Reformjuden. Jüdische Geschichte über drei Generationen, welche Vorkriegs-, Nazi- und Nachkriegsdeutschland ebenso umfaßt wie die Emigrationszeit in Palästina, wird exemplarisch abgehandelt, mit der deutschen Geschichte kurzgeschlossen und als chronikaler Subtext mitgeliefert. Vor allem geht es um Identitäten, im mehrfachen Sinn, und wenn das Anliegen und Problematik des Romans sind, dann ist er ein zweifellos wichtiges, ein gelungenes und ein verdienstvolles Projekt, auch wenn Vertlib hier etwas, was die gesamte Gesellschaft angehen sollte, vorweg zu einem Randthema fokussiert, noch dazu auf die Gefahr hin, die Einschätzung von etwas "Exotischem" zu evozieren, dem man heute erst recht distanziert und fremd gegenübersteht, als dürfte man sich eine Meinung zu einem genuin jüdischen Problem nicht weiter erlauben. Ob es der Autor auf eine solche verbetene Einmischung von außen angelegt hat, um mit dem Leser in einen kritischen Diskurs zu treten, weiß ich nicht, ich registriere nur: die nichtjüdischen Figuren in diesem Roman haben ein ziemliches Problem damit, sie halten sich zurück, reagieren, wenn überhaupt, überwiegend verstört und allemal befangen. Wie muß es dann erst den (fast ausschließlich nichtjüdischen) Lesern ergehen? Aber kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Da ist Herr Salzinger, der als Kind erlebt, wie sein Vater gedemütigt, betrogen und von der Gestapo aus der Wohnung geholt wird, der mit seiner Mutter schließlich nach Palästina flüchten kann, dort mitansehen muß, mit wieviel Gewalt und Blut der Staat Israel errichtet wird, der schließlich nach Deutschland zurückkehrt, über eine bescheidene Existenz nie hinauskommt und mit der Zeit zum Misanthropen, zum Zyniker wird, der sich stets "in Opposition zur Welt gesehen" hat. Kurz vor seinem Tod äußert er seinen letzten Wunsch: auf dem jüdischen Friedhof in Gigricht neben seiner Frau beerdigt zu werden. Mit Religion hat das zwar nichts zu tun, vielleicht auch nicht einmal etwas mit Tradition, aber Gabriel Salzinger, der einzige Sohn, ist bereit, diesen Wunsch zu respektieren. Das Kaddisch ist schon gesprochen, die Erde schon auf den Sarg geworfen, als die Totengräber auf Anordnung des Kantors den Sarg wieder nach oben ziehen. "Es tut mir Leid, Herr Salzinger, aber es gibt ein Problem", wird dem außer sich geratenen Sohn mitgeteilt. "Ihre Großmutter ist für uns offiziell immer noch Nichtjüdin, und somit ist auch ihr Vater kein Jude. Wir können leider keinen Juden auf einem jüdischen Friedhof eine letzte Ruhestätte zur Verfügung stellen. So sind die Regeln." Und später wird Gabriel noch hören, daß es "nichts Wichtigeres auf Erden als das Gesetz" gebe, das Gesetz wäre alles. Nun mag dem Leser in den Sinn kommen, ob die jüdischen orthodoxen Gesetze, solcherart angewandt, nicht ein Pendant zu den Nürnberger Rassegesetzen sind, und man beobachtet neugierig, wie Gabriel, der betroffene Sohn, damit umgeht. Er sucht Rat bei seinen nichtjüdischen Freunden, er erlebt die kleine private Welt des Rabbiners, der ihm etwas zu erklären versucht, wofür Gabriel kein Verständnis hat, er geht schließlich, und das schafft erst recht Mißverständnisse, mit der heiklen Angelegenheit an die Öffentlichkeit und er läßt sich am Ende auf einen faulen Kompromiß ein, den es noch zu korrigieren gilt. Wie Vertlib die Reaktionen des Betroffenen, aller Betroffenen zeichnet, wie er die Kleinbürgerlichkeit der orthodoxen Rabbinersfamilie wiedergibt und das falsch verstandene Interesse einer Öffentlichkeit karikiert, die das alles gar nichts angeht, ist großartige Literatur. Auch das Portrait, das er von Gabriel Salzinger, dem einzigen Sohn, entwirft, seine Orientierungslosigkeit, die die Orientierungslosigkeit einer ganzen Generation ist, zeugt nicht nur von großem literarischem Können, sondern auch von einer reifen Erfahrung, von einem präzisen Studium des Milieus. Hier stimmt einfach alles, ob das die kurze blutige Episode im israelischen Kibbuz ist oder das soziale Umfeld, in dem Gabriels Vater in einer erneut antisemitischen Gesellschaft im Nachkriegsdeutschland voller Distanzen und loser Bindungen lebt. Es ist erstaunlich, wie ein Autor, der Jahrgang 1966 ist, - unabhängig von der eigenen jüdischen Herkunft - derart authentisch von diesen Dingen zu erzählen versteht. Authentisch ist Vertlib auch im Tonfall, der stets sachlich und lakonisch bleibt. "Manchmal berichtete Vater von Ereignissen, die andere verschwiegen hätten. [
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Exemplare
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17679 DE, Ver

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